Am heutigen Mittwoch fand vor dem Oberlandesgericht in Hamburg der zweite Prozesstag gegen zwei kurdische Aktivisten wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft statt. Eine von den Rechtsanwälten vorgeschlagene Verständigung auf Bewährungsstrafen wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Zahlreiche solidarische Menschen unterstützten die Angeklagten im Gerichtssaal.
Keine Verständigung, Solidarität und triviale Abhörungen – Zweiter Prozesstag im Verfahren gegen Nihat
Eine Woche nach Prozessbeginn wurde heute der zweite Prozesstag gegen den Kieler Nihat Asut und einen weiteren Kurden aus Lübeck wegen des Vorwurfs der führenden Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach §129a/b StGB verhandelt. Auch dieses Mal fanden sich über 30 solidarische Genoss:innen im Gerichtssaal ein, was die Angeklagten sichtlich gefreut und unterstützt hat.
Zu Beginn der Verhandlung berichtete der Vorsitzende Richter Sakuth von einem Verständigungsgespräch, welches die Anwälte der Angeklagten im Nachklang des ersten Prozesstages angestoßen hatten. Gegen mögliche geständige Einlassungen der beiden Angeklagten, vor allem in Bezug auf die Vorwürfe der Organisation von Demonstrationen und Veranstaltungen mit Bezug zur kurdischen Freiheitsbewegung, sollte im Gegenzug eine Bewährungsstrafe zugesagt werden. Während die Staatsanwaltschaft eine solche Bewährungsstrafe für den Lübecker Genossen akzeptieren würde, wurde diese für Nihat ausgeschlossen. Begründet wurde dies mit der lange andauernden und immer noch aktuellen politischen Betätigung Nihats als Gebietsleiter für die PKK. Dies unterscheide Nihats Fall auch von jüngeren Urteilen wie im Prozess gegen Selahattin K., der im April vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Zudem sei laut Oberstaatsanwalt Schakau auch nicht klar, ob der Angeklagte – trotz seiner Zustimmung zu dem von der PKK vorangetriebenen Friedensprozess – seine politischen Tätigkeiten für die Arbeiterpartei nicht auch bei Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes fortführen würde. Die Staatsanwaltschaft sieht das Strafmaß daher bei einer Haftstrafe von über 2 Jahren, die entsprechend nicht auf Bewährung ausgesetzt werden könne.
Der Senat stellte für den Lübecker Genossen ein mögliches Strafmaß von 1 Jahr und 3 Monaten bis 1 Jahr und 9 Monaten und eine damit verbundene Bewährung in Aussicht. Dafür müsse der Angeklagte eine geständige Einlassung mit einer in eigenen Worten verfassten Stellungnahme zu den Tatvorwürfen abgeben. Dies umfasse laut Richter Sakuth explizit nicht die Preisgabe von Identitäten möglicher weiterer Tatverdächtiger. Weiterhin sollen die beschlagnahmten Geldbeträge nicht weiter Gegenstand der Verständigung sein.
Diese Verständigung wird erst gültig, wenn die Staatsanwaltschaft und der Lübecker Genosse zustimmen. Eine Stellungnahme des Angeklagten und seines Verteidigers soll am kommenden Prozesstag erfolgen. Bei Nihat steht die Staatsanwaltschaft mit ihren Strafforderungen einer möglichen Verständigung hinsichtlich Bewährung aktuell aktiv im Weg.
Gericht erkennt an: Der türkische Staat ermordet, foltert und vertreibt politische Gegner:innen und Minderheiten
Nach einer eineinhalbstündigen Pause wurden gerichtsbekannte Tatsachen zum „türkisch-kurdischen Konflikt“ vom Vorsitzenden Richter verlesen. Diese basieren auf den bisherigen PKK-Verfahren des OLG-Senats und steckten den politischen Rahmen vom Osmanischen Reich bis zum Jahr 2016 ab. Es wurden die geschichtlich verwurzelte Unterdrückung kurdischer Sprache, Kultur und Politik durch die Türkei dargelegt und festgestellt, dass „kurdische Politiker und Parteien immer wieder der Verfolgung ausgesetzt waren“. Der Vorsitzende Richter dokumentierte die unzähligen Verbote und Repressionen gegen kurdische Parteien durch den türkischen Staat unter dem Vorwand des Verstoßes gegen die Unteilbarkeit von Volk und Nation. Es wurde die gezielte Zerstörung kurdischer Dörfer und die Vertreibung der Bevölkerung in den 1990er Jahren, die Ermordung und das „Verschwindenlassen“ zahlreicher kurdischer Menschen sowie die Folter von Politiker:innen und Aktivist:innen anerkannt. Zahlreiche Verstöße gegen Menschen- und Grundrechte wurden durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt und der türkische Staat in diesem Zuge mehrfach zu lächerlichen Geldzahlungen verurteilt. Zudem stellte das Gericht die massive Einschränkung der freien Meinungsäußerung in der Türkei fest, die nicht nur Kurd:innen sondern auch die Presse, andere politische Parteien oder Bewegungen betrifft. Trotz all dieser richtigen Feststellungen der unzähligen skrupellosen Verbrechen des türkischen Staates stehen in diesem Prozess aber nicht die eigentlichen Verantwortlichen vor Gericht, sondern zwei kurdische Genoss:innen aus Kiel und Lübeck, die genau diese Gräueltaten bekämpft haben sollen.
„Die anderer Leute Pferde reiten, gehen am Ende zu Fuß.“
Im dritten inhaltlichen Block der Verhandlung wurden einige der Protokolle der überwachten Gespräche im Auto von Nihat behandelt. Bereits zu Beginn des Verhandlungstages hatte die Verteidigung der Angeklagten auf damit verbundene Problematiken hingewiesen. Die auf kurdisch geführten Gespräche wurden von unbekannten Dolmetschenden als zusammengefasste Protokolle ins Deutsche übersetzt. Weder die Qualifikation noch die rechtliche Neutralität der Dolmetscher:innen ist bekannt. Die Protokolle würden Rechtschreib- und Grammatikfehler beinhalten und teilweise nur schwer verständlich und lückenhaft sein, wodurch die Qualität der Übersetzung zumindest in Frage zu stellen sei. Zudem spiegelten sich in den Übersetzungen inhaltliche Interpretationen wider. Nach Beschluss der Richter sollen die vorhandenen Protokolle in dieser Form vorgetragen, aber zusätzlich noch durch die zuständige Dolmetscherin in Gänze neu übersetzt werden.
Folglich wurden insgesamt 25 Gesprächsprotokolle verlesen. Diese umfassten einen Überwachungszeitraum vom 20.11.2024 bis zum 6.3.2025 und wurden im Auto des Angeklagten Nihat aufgezeichnet. Die jeweils knapp fünf Minuten langen Aufzeichnungen gaben mäßig Aufschluss hinsichtlich der Tatvorwürfe und hatten in der Form des Vortrags in Teilen eher Slapstick-Charakter. Neben Wortfetzen über Demonstrationen oder Treffen kamen verschiedene Zahlenspiele – von verkauften Zeitschriften bis zu Kaufpreisen von Autos – zur Sprache. Es wurde zudem über das Wetter, Benzinpreise oder das Einkaufen im Sophienhof geredet. Meist ergab das Gesprochene wenig Sinn („Ich werde Dings“) oder eröffnete nur Triviales aus dem Leben des Angeklagten, von der Bewertung seiner Fahrkünste bis hin zur Unverträglichkeit von Schweinefleisch in den kurdischen Bergen.
Um kurz nach 14 Uhr wurde der Prozesstag dann beendet. Der dritte Prozesstag folgt am Freitag, den 19.September um 9 Uhr. Schwerpunkt wird die Verlesung der Protokolle und Fotos von den Hausdurchsuchungen im März dieses Jahres sein. Solidarische Unterstützung und kritische Prozessbegleitung ist unbedingt wieder erwünscht und notwendig.
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