Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg (OLG) ist am Mittwoch der Prozess gegen zwei Kurden wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fortgesetzt worden. Wie bereits beim vorangegangenen Verhandlungstag am Montag wurden diverse Zeug:innen zu dem bei der Durchsuchung der Wohnung von einem der Angeklagten im vergangenen März beschlagnahmten Geld angehört. Dem 64-jährigen Kurden wird vorgeworfen, im Jahr 2024 Spendengelder in Höhe von 3.000 Euro entgegengenommen und bis März 2025 weitere 87.550 Euro in seiner Wohnung nahe Lübeck aufbewahrt zu haben.
Laut den Zeugenaussagen diente die in der Wohnung beschlagnahmte Summe dem Kauf einer Wohnung für die in prekären Verhältnissen lebende Familie. Die Zeug:innen sagten aus, dass sie dem Angeklagten dafür Geld geliehen hätten. Dazu sollen in den kommenden Verhandlungstagen noch weitere Zeug:innen angehört und Beweismittel eingebracht werden.
Beweisermittlungsantrag zu Staatsverbrechen der Türkei
Die Verteidigung stellte am Mittwoch außerdem einen längeren Beweisermittlungsantrag zu Staatsverbrechen der Türkei. Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling führte aus, dass der Senat bereits im September auf gerichtsbekannte Tatsachen für den Zeitraum bis 2015 hingewiesen hat. So habe der türkische Staat in der Vergangenheit massive, bis hin zu tausendfachem Mord und hunderttausendfacher Vertreibung reichende Verbrechen gegen die kurdische Bevölkerung begangen und zugleich durch Sprach- und sogar Buchstabenverbote die Bewahrung kurdischer Kultur sowie durch willkürliche Parteiverbote auch die freie politische Betätigung kurdischer Menschen in der Türkei massiv erschwert bis verunmöglicht. Mit dem neuen Beweisermittlungsantrag soll demnach festgestellt werden, dass die Unterdrückungspolitik des türkischen Staates bis zu dem in Hamburg angeklagten Tatzeitraum ununterbrochen weiterging.
„Ihrer Dimension nach und für die Strafzumessung relevant“
Die Verteidigung vertrat die Auffassung, dass weitere Tatsachen ihrer Dimension nach und für die Strafzumessung relevant seien. Benannt wurden unter anderem Morde an PKK-Mitgliedern in Europa, so etwa das tödliche Attentat eines Auftragsmörders des türkischen Geheimdienstes MIT auf Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Januar 2013 in einem kurdischen Informationszentrum in Paris.
Weitere Themenkomplexe des Antrags sind die Militäreinsätze von 2015/2016 in kurdischen Städten in der Türkei, die Unterstützung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ durch die Türkei und die Zurückschlagung der Islamisten unter anderem durch Einheiten der PKK, Angriffe der Türkei auf kurdische Siedlungsgebiete außerhalb des türkischen Staatsgebietes sowie die Unterdrückung pro-kurdischer Betätigung in Parlament und Kommunalpolitik. In dem Antrag wurden unter anderem der Völkermord von 2014 an der ezidischen Gemeinschaft und die laut mehreren Urteilen des EGMR rechtswidrige Inhaftierung des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş benannt.
Der gewaltsame Tod von Konstantin Gedig
Als weiteres relevantes Beispiel ist der Tod des Kielers Konstantin Gedig im Jahr 2019 bei einem türkischen Luftangriff in Nordsyrien aufgeführt. Rechtsanwalt Elberling wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass seinem Mandanten Nihat Asut die Vorbereitung der Trauerfeier zum fünften Jahrestag der Tötung von Gedig und die Teilnahme an dieser Trauerfeier im Oktober 2024 im vorliegenden Verfahren als Betätigungshandlung nach § 129b StGB vorgeworfen wird.
Weitere Verhandlungen bis Februar angesetzt
Generalstaatsanwalt Schakau erklärte in einer Stellungnahme zu dem Antrag, er habe grundsätzlich nichts dagegen, diese Sachverhalte einzuführen, es seien ja geschichtliche Tatsachen. Darüber hinaus wurden weitere Verhandlungstermine bis Februar ausgemacht, sollten die bisherigen nicht ausreichen.
Bei den nächste Terminen am Donnerstag und Freitag kommender Woche wird es weiter um das in Lübeck beschlagnahmte Geld sowie um Beweisanträge der Verteidigung gehen. Ob dafür beide Tage gebraucht werden, wird sich am Donnerstagnachmittag herausstellen.
Prozesstermine
Weitere Verhandlungstermine sind am 6.10. | 8.10. | 14.10. | 15.10. | 5.11. | 6.11. | 17.11. | 19.11. | 27.11. | 28.11. | 2.12. | 3.12. um jeweils 9 Uhr, sowie am 18.12., ebenfalls um 9 Uhr, aber dann nicht den ganzen Tag, 22.12. um 10 Uhr, 23.12. um 9 Uhr.
Im Januar 2026 sind am 7.1. um 10 Uhr und am 14.1. um 10.30 Uhr jeweils kurze Termine von höchstens einer halben Stunde angesetzt. Die vorsichtshalber für Februar vereinbarten Termine sind am 16.2. und 27.2. jeweils um 9 Uhr.
Solidarische Prozessbegleitung
Die anlässlich des Verfahrens gegründete Gruppe Prozessbeobachtung Nord ruft weiterhin zur solidarischen Prozessbegleitung auf: „Solidarität ist unsere Waffe – Wir freuen uns über Spenden!“
Spendenkonto
Rote Hilfe e.V.
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