Prozessauftakt gegen kurdische Aktivisten in Hamburg

In Hamburg ist ein weiterer Prozess wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft eröffnet worden. Vor dem OLG protestierten zahlreiche Menschen gegen die deutsche Kriminalisierungspolitik und solidarisierten sich mit den beiden Angeklagten.

Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg hat der Prozess gegen zwei kurdische Aktivisten begonnen. Nihat Asut und einem weiterem Genossen aus Lübeck wird von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg nach §129a/b StGB vorgeworfen, sich ab 2020 bzw. 2021 bis zu Durchsuchungen und der Festnahme Asuts am 12. März dieses Jahres als PKK-Mitglieder betätigt zu haben. Seit seiner Festnahme befindet sich Nihat Asut in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg.

Der Prozessauftakt wurde von zahlreichen Interessierten beobachtet. Als Nihat Asut in den Gerichtssaal geführt wurde, standen die meisten Zuschauer:innen auf und begrüßten den Angeklagten mit Applaus. Aufgrund von Einlasskontrollen füllte sich der Zuschauerraum erst eine halbe Stunde nach Verhandlungsbeginn und war dann bis auf den letzten Platz voll besetzt.

Die Verhandlung begann mit der Feststellung der Personalien der Angeklagten durch den Vorsitzenden Richter des Staatsschutzsenats, Norbert Sakuth. Die beiden Angeklagten im Alter von 63 und 64 Jahren sind Kurden mit türkischer Staatsangehörigkeit und äußerten sich zu ihren Personalien in ihrer Muttersprache Kurmancî.

Im Anschluss wurde von Generalstaatsanwalt Schakau die Anklageschrift verlesen und die Verhandlung auf nächsten Mittwoch, den 17. September um 9 Uhr, vertagt. Die Angeklagten wollten zum jetzigen Zeitpunkt keine Angaben machen. Weitere Termine sind voraussichtlich am 19. September, 6., 8., 14. und 15. Oktober, 5., 6., 17., 19., 27. und 28. November sowie 2. und 3. Dezember 2025, Änderungen sind möglich.

Protestkundgebung vor Gerichtsgebäude

Im Vorfeld der Prozesseröffnung veranstaltete der AK Freiheit für Nihat ab 8 Uhr vor dem Gerichtsgebäude eine Kundgebung in Solidarität mit den Angeklagten. In mehreren Redebeiträgen, unter anderem vom Kurdistan-Solidaritätskomitee Kiel und von Defend Kurdistan Bremen, wurde die Kriminalisierungspolitik gegen Kurd:innen in Deutschland kritisiert und Freiheit für alle inhaftierten kurdischen Aktivist:innen gefordert. Zudem wurden Grußworte von Die Linke Kiel, Rote Hilfe Kiel und der Marxistischen Linken vorgetragen.

Azadî: Keine Kursänderung in der deutschen Politik

Auch der Rechtshilfefonds Azadî e.V. war bei der Kundgebung mit einem Redebeitrag vertreten. In der verlesenen Erklärung wurde betont, dass den Angeklagten keine individuellen Straftaten zur Last gelegt werden und es offenbar keine Kursänderung in der deutschen Politik gibt. So hieß es in dem Beitrag:

„Liebe Freundinnen und Freunde, hier vor dem OLG Hamburg findet heute der Prozessauftakt gegen den kurdischen Aktivisten Nihat Asut und einen weiteren Genossen statt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wirft Nihat vor, seit September 2021 als Mitglied der PKK in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern tätig gewesen zu sein und sich dadurch nach § 129b des Strafgesetzbuchs strafbar gemacht zu haben. Im Zuge der Festnahme von Nihat durchsuchte das LKA Schleswig-Holstein insgesamt neun Immobilien in Kiel und Lübeck, darunter die Wohnungen und Kleingärten von fünf weiteren Betroffenen sowie das kurdische Gesellschaftszentrum in Kiel.

Trotz des aktuellen Friedensprozesses in der Türkei geht die Repression der deutschen Justiz gegen die kurdische Befreiungsbewegung unvermindert weiter. Die Prozesse nach § 129b gegen kurdische politische Aktivist:innen laufen vor den deutschen Gerichten alle nach demselben Muster. Den Angeklagten werden in der Regel keine individuellen Straftaten zur Last gelegt. Vorgeworfen wird ihnen politisches Engagement, welches auch für viele von euch zum Alltagsleben gehört, etwa Teilnahme an Demonstrationen und die Mobilisierung dafür. Nur, weil die mit dem § 129b konfrontierten Personen das angeblich im Auftrag der Arbeiterpartei Kurdistans PKK vornehmen, werden sie zu teils mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.

Auch nach dem Aufruf für Frieden und Demokratie von Abdullah Öcalan und der Auflösung und angekündigten Entwaffnung der PKK im Mai gibt es keine Kursänderung in der deutschen Politik.

Parallel geführte Prozesse gegen Kurden

Am Montag begann in Berlin ein Prozess gegen einen kurdischen Aktivisten, heute Morgen – während wir hier stehen – beginnt ein solches Gerichtsverfahren gegen einen Aktivisten in Stuttgart.

Der bekannte kurdische Politiker Yüksel Koç wurde am 20. Mai in seiner Bremer Wohnung festgenommen. Vorgeworfen wird ihm seine langjährige politische Tätigkeit als Ko-Vorsitzender des „Kongresses der demokratischen Gemeinschaften Kurdistans in Europa“ – KCDK-E. Wie bei den anderen Angeklagten in den § 129b-Prozessen werden auch ihm keine individuellen Straftaten vorgeworfen, sondern seine allgemeinen politischen Tätigkeiten, die von der Bundesanwaltschaft als „Propagandaarbeit für die PKK“ dargestellt werden. Auch wenn Yüksel mittlerweile aus der U-Haft entlassen wurde, geht das Verfahren gegen ihn weiter und wird voraussichtlich ebenfalls in Hamburg stattfinden.

Abschiebung von Mehmet Çakas vorerst verhindert

In einem anderen Fall hat zuletzt eine Ausländerbehörde versucht, einen nach § 129b verurteilten Genossen direkt aus dem deutschen Gefängnis in die Türkei abzuschieben. Mehmet Çakas wurde im April 2024 vom OLG Celle zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Regulär hätte er im Oktober dieses Jahres seine Haft abgesessen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte im Juni einen Eilantrag gegen seine Abschiebung in einem oberflächlichen Verfahren abgelehnt. Aktuell ist seine Abschiebung vom Tisch, da am 24. November ein neues Asylanhörungsverfahren angesetzt ist.

Wir hoffen als AZADÎ natürlich, dass die Auslieferung von Mehmet Çakas verhindert werden kann. Wir gehen aber davon aus, dass es bei anderen noch einsitzenden Gefangenen zu ähnlichen Versuchen durch die Ausländerbehörden kommen wird. Die Abschiebungen gilt es auf jeden Fall zu verhindern, da den Betroffenen in der Türkei Haft, unfaire Verfahren, Folter und mit den Menschenrechten unvereinbare lebenslange Haftstrafen drohen – allein schon aufgrund ihrer Verurteilungen als PKK-Mitglieder in Deutschland.

„Wir brauchen ein Primat der Politik“

Wir fordern angesichts der hoffnungsvollen Entwicklungen in der Türkei, die zur Beendigung eines jahrzehntelangen Konflikts führen können, ein Umdenken auch in Deutschland. Wir brauchen ein Primat der Politik gegenüber der seit Jahrzehnten eingespielten Repressions-Bürokratie und erwarten vor allem vom deutschen Bundestag, die positiven Schritte der kurdischen Bewegung aufzunehmen und entsprechende Initiativen zu ergreifen. Dazu gehören im Bereich der Innenpolitik die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums, die PKK nach § 129b StGB verfolgen zu lassen, und die Einstellung aller laufenden Verfahren.

Ebenso fordern wir die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste. Rechtlich wären diese Schritte jederzeit möglich und sofort wirksam, allein der politische Wille ist entscheidend.“

Prozess gegen Welat Çetinkaya in Stuttgart heute gestartet

Vor dem OLG Stuttgart begann heute die Hauptverhandlung im Strafverfahren gegen Welat Çetinkaya. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft dem 51-jährigen Kurden vor, von September 2020 bis Mai 2021 den Raum „Stuttgart-Zentrum“ für die PKK geleitet und sich dadurch wegen Mitgliedschaft in der „terroristischen“ Vereinigung im Ausland nach §§ 129a, 129b Strafgesetzbuch strafbar gemacht zu haben.

Die Verhandlung konnte erst mit einer Stunde Verspätung beginnen, da sich Welat Çetinkaya zunächst weigerte, vor Gericht zu erscheinen. Auf diese Weise protestierte er gegen die Willkür der Behörden. Hintergrund war ein Antrag auf Zusammenlegung mit den ebenfalls in der JVA Stuttgart-Stammheim inhaftierten und der Mitgliedschaft in der PKK beschuldigten Mehmet Ali Yilmaz und Ramazan Yildirim. Entgegen anders lautender Bekundungen war dieser Antrag nicht von der Gefängnisverwaltung an den Senat des Oberlandesgerichts weitergeleitet worden. Der Angeklagte stellte ihn schließlich nach verspätetem Beginn in der heutigen Verhandlung. Darüber hinaus wurden seine Personalien aufgenommen und die Anklageschrift verlesen.

Die Verhandlung wird am 30. September um 9.00 Uhr am OLG Stuttgart fortgesetzt (Olgastraße 2, Sitzungssaal 18).

Prozessauftakt gegen kurdische Aktivisten in Hamburg (Quelle)