Liebe Freundinnen und Freunde,
hier vor dem OLG Hamburg findet heute der Prozessauftakt gegen den kurdischen Aktivisten Nihat Asut und einen weiteren Genossen statt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wirft Nihat vor, seit September 2021 als Mitglied der PKK in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern tätig gewesen zu sein und sich dadurch nach § 129b des Strafgesetzbuchs strafbar gemacht zu haben.
Im Zuge der Festnahme von Nihat durchsuchte das LKA Schleswig-Holstein insgesamt neun Immobilien in Kiel und Lübeck, darunter die Wohnungen und Kleingärten von fünf weiteren Betroffenen sowie das kurdische Gesellschaftszentrum in Kiel. Trotz des aktuellen Friedensprozesses in der Türkei geht die Repression der deutschen Justiz gegen die kurdische Befreiungs-bewegung unvermindert weiter
Die Prozesse nach § 129b gegen kurdische politische Aktivist:innen laufen vor den deutschen Gerichten alle nach demselben Muster. Den Angeklagten werden in der Regel keine individuellen Straftaten zur Last gelegt. Vorgeworfen wird ihnen politisches Engagement, welches auch für viele von Euch zum Alltagsleben gehört, etwa die Teilnahme an Demonstrationen und die Mobilisierung dafür. Nur, weil die mit dem § 129b konfrontierten Personen das angeblich im Auftrag der Arbeiterpartei Kurdistans PKK vornehmen, werden sie zu teils mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
Auch nach dem Aufruf für Frieden und Demokratie von Abdullah Öcalan und der Auflösung und angekündigten Entwaffnung der PKK im Mai gibt es keine Kursänderung in der deutschen Politik.
Am Montag begann in Berlin ein Prozess gegen einen kurdischen Aktivisten, heute Morgen – während wir hier stehen – beginnt ein solches Gerichtsverfahren gegen einen Aktivisten in Stuttgart.
Der bekannte kurdische Politiker Yüksel Koç wurde am 20. Mai in seiner Bremer Wohnung festgenommen. Vorgeworfen wird ihm seine langjährige politische Tätigkeit als Ko-Vorsitzender des „Kongresses der Demokratischen Gemeinschaften Kurdistans in Europa“ – KCDK-E. Wie bei den anderen Angeklagten in den § 129b-Prozessen werden auch ihm keine individuellen Straftaten vorgeworfen, sondern seine allgemeinen politischen Tätigkeiten, die von der Bundesanwaltschaft als „Propagandaarbeit für die PKK“ dargestellt werden. Auch wenn Yüksel mittlerweile aus der U-Haft entlassen wurde, geht das Verfahren gegen ihn weiter und wird voraussichtlich ebenfalls in Hamburg stattfinden.
In einem anderen Fall hat zuletzt eine Ausländerbehörde versucht, einen nach § 129b verurteilten Genossen direkt aus dem deutschen Gefängnis in die Türkei abzuschieben. Mehmet Çakas wurde im April 2024 vom OLG Celle zu 2 Jahren und 10 Monaten Haft verurteilt. Regulär hätte er im Oktober dieses Jahres seine Haft abgesessen. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte im Juni einen Eilantrag gegen seine Abschiebung in einem oberflächlichen Verfahren abgelehnt. Aktuell ist seine Abschiebung vom Tisch, da am 24. November ein neues Asylanhörungsverfahren angesetzt ist. Wir hoffen als AZADÎ natürlich, dass die Auslieferung von Mehmet Çakas verhindert werden kann. Wir gehen aber davon aus, dass es bei anderen noch einsitzenden Gefangenen zu ähnlichen Versuchen durch die Ausländerbehörden kommen wird. Die Abschiebungen gilt es auf jeden Fall zu verhindern, da den Betroffenen in der Türkei Haft, unfaire Verfahren, Folter und mit den Menschenrechten unvereinbare lebenslange Haftstrafen drohen – allein schon aufgrund ihrer Verurteilungen als PKK-Mitglieder in Deutschland.
Wir fordern angesichts der hoffnungsvollen Entwicklungen in der Türkei, die zur Beendigung eines jahrzehntelangen Konflikts führen können, ein Umdenken auch in Deutschland. Wir brauchen ein Primat der Politik gegenüber der seit Jahrzehnten eingespielten Repressions-Bürokratie und erwarten vor allem vom deutschen Bundestag, die positiven Schritte der kurdischen Bewegung aufzunehmen und entsprechende Initiativen zu ergreifen. Dazu gehören im Bereich der Innenpolitik die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung des Justizministeriums, die PKK nach § 129b StGB verfolgen zu lassen, und die Einstellung aller laufenden Verfahren. Ebenso fordern wir die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste. Rechtlich wären diese Schritte jederzeit möglich und sofort wirksam, allein der politische Wille ist entscheidend.