Redebeitrag von AK – Freiheit für Nihat zum Prozessauftakt

Moin liebe Genoss:innen und Freund:innen,
wir sind zu dieser frühen Uhrzeit zusammengekommen, weil heute hier vor dem Oberlandesgericht Hamburg der Prozess gegen zwei kurdische Aktivist:innen aus Schleswig-Holstein beginnt. Unser Freund Nihat Asut aus Kiel und ein weiterer Genosse aus Lübeck werden wegen des Vorwurfs der „mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung“ auf die Anklagebank gezerrt. Vor einem halben Jahr, am 12.03.2025, kam es in Kiel und in Lübeck zu einer Reihe von Razzien in Vereinsräumen, Privatwohnungen und Fahrzeugen, die das LKA und das OLG Hamburg der Kurdischen Befreiungsbewegung zuordnen. Noch am selben Tag wurde unser Freund Nihat nach Hamburg verschleppt und sitzt hier seitdem in Untersuchungshaft. Ihm werfen die deutschen Behörden Unterstützung und führende Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vor, die in der BRD nach den Paragrafen 129a/129b als „terroristische Vereinigung im Ausland“ verunglimpft wird.

Für uns ist klar, dass wir unsere Freunde nicht allein lassen, wenn die deutschen Behörden sich ein weiteres Mal zum Erfüllungsgehilfen des türkischen Staats machen: Auf ihrem Rücken soll mal wieder ein Exempel an der Kurdischen Befreiungsbewegung statuiert werden. Denn dieses Vorgehen der Repressionsbehörden kennen wir mittlerweile zur Genüge: Regelmäßig werden irgendwo in der BRD vermeintliche Gebietsleiter der PKK ausgemacht. Ihnen wird faktisch nichts anderes als völlig legale Tätigkeiten wie das Organisieren von Veranstaltungen, das Anmelden von Demos oder Festivals oder das Sammeln von Spenden vorgeworfen. So wurde vor einem Jahr auch Kenan Ayaz in Hamburg unter selbigem Vorwand zu vier Jahren Haft verurteilt, die er derzeit absitzen muss. Im Mai wurde zudem der langjährige Kurdische Aktivist Yüksel Koç aus Bremen festgenommen. Auch wenn er kürzlich aus der U-Haft entlassen wurde, droht ihm in den kommenden Monaten ebenfalls die Prozesseröffnung.

Aktuell sehen sich Dutzende weiterer kurdischer Aktivist:innen in Deutschland mit Ermittlungen, Überwachung, Vereinsverboten oder Gerichtsverfahren konfrontiert – nicht wegen strafbarer Handlungen, sondern allein aufgrund ihres politischen Engagements für Frieden, Demokratie und kulturelle Selbstbestimmung. Doch die Verfolgung, der die Kurdische Bewegung in der BRD seit Jahrzehnten ausgesetzt ist, ist nichts Neues. Ihre Grundlage ist das 1993 vom Bundesinnenministerium erlassene Betätigungsverbot für die PKK und ihre Einstufung als „kriminelle Vereinigung“. Mit diesem Werkzeug gehen deutsche Behörden seitdem gegen alles vor, was sie zu PKK-Strukturen erklären.


Dazu können Vereine, Verlage und Organisationen genauso gehören, wie all diejenigen, die sich für kurdische Selbstbestimmung und Demokratisierung einsetzen oder gegen den Krieg des türkischen Staates in Kurdistan aktiv sind. Diese Linie ist nicht zufällig, sondern entspricht de außenpolitischen Interessen des deutschen Staates: Das türkische Regime ist seit jeher enger Handelspartner, Waffenkäufer, politischer Verbündeter und NATO-Partner der BRD. Der deutsche Imperialismus profitiert von einem möglichst starken Einfluss der Türkei im Mittleren Osten. Eine Kraft wie die PKK und die Kurdische Befreiungsbewegung, die sich dem entgegenstellt, macht sich damit auch zum Gegner deutscher Interessen. Deshalb kann sich der türkische Staat bei der Unterdrückung und Bekämpfung von Kurd:innen so gewiss auf die deutsche Unterstützung verlassen – dort wie hier.

Aber wir stehen nicht nur solidarisch an der Seite der Kurdischen Befreiungsbewegung, weil sie immer wieder der Interessen geleiteten Repression des deutschen Staates ausgesetzt ist, sondern weil der revolutionäre Aufbau in Kurdistan Vorbildcharakter für linke emanzipatorische
Bewegungen in der ganzen Welt hat. Seit über 40 Jahren kämpft sie gegen die Unterdrückung, für die Rechte der Kurd:innen und für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft. In
Nordostsyrien (Rojava) ist dieser Prozess trotz des permanenten Kriegszustandes und der
andauernden Angriffe des türkischen Staats und seiner dschihadistischen Verbündeten in Syrien am weitesten fortgeschritten: Die Rojava-Revolution arbeitet seit 2012 an der Verwirklichung von nicht-staatlicher Rätedemokratie, Frauenbefreiung, ökologischer Nachhaltigkeit und kollektiven Wirtschaftens. Inmitten des syrischen Bürgerkriegs hat sie einen lebendigen Zufluchtsort für ein friedliches und gleichberechtigtes Miteinander geschaffen, unabhängig nationaler, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeiten.


Mit ihrem Streben nach egalitären und solidarischen Verhältnissen jenseits von Kapitalismus,
Kolonialismus und Patriarchat steht die Bewegung in logischem Kontrast und Konfrontation mit
einer Vielzahl reaktionärer oder fundamentalistischer Banden sowie den imperialistischen
Einflussnahmen verschiedener Regional- und Großmächte, nicht zuletzt des türkischen Staats. Derzeit erleben wir eine fundamentale Umbruchphase auf dem syrischen Staatgebiet, deren Ausgang offen ist und innerhalb derer sich auch die Rojava-Revolution behaupten muss.


In Anbetracht dieser Entwicklungen ist es umso fragwürdiger, dass der deutsche Staat die
Friedensbemühungen der PKK ignoriert, die Repression gegen kurdische Aktivist:innen zuletzt
nochmals angezogen hat und damit Verunsicherung und Unruhe in der Bewegung stiftet. Anstatt den neuerlichen Dialog- und Friedensprozess zu unterstützen und die eigenen
Einflussmöglichkeiten zu nutzen, agiert die BRD mit ihrer anhaltenden Kriminalisierung und
Bekämpfung der Kurdischen Bewegung gegen eine friedliche Lösung für Kurdistan und für die
Fortführung des jahrzehntelang andauernden Krieges.


Das ungebrochen harte Vorgehen gegen die kurdische Linke in der BRD spiegelt auch die autoritäre Zuspitzung wider, die wir derzeit auf allen Ebenen erleben. Der Rechtsruck des politischen Mainstreams in Zeiten unlösbarer Krisen des Kapitalismus und der kriegsvorbereitende Militarisierung richtet sich auch gegen all jene, die Keimzellen realer Opposition dagegen sein könnten. Die ideologische und handfeste Repression des deutschen Staates trifft derzeit genauso die antifaschistische Bewegung, den Klimaaktivismus, antimilitaristische Bestrebungen oder internationalistische Mobilisierungen wie die Palästina-Solidarität gegen den Genozid in Gaza. Die Angriffe auf die Linke in ihrer ganzen Vielfalt müssen wir deshalb immer als Angriffe auf uns selbst verstehen, egal in welchen Kämpfen wir uns konkret verorten.

Unzählige Male waren wir zusammen mit Nihat auf der Straße, um internationale Solidarität mit dem revolutionären Aufbau in Kurdistan zu bekunden. Lasst uns ihm jetzt, wo er stellvertretend für unsere gemeinsame Sache weggesperrt ist und abgeurteilt werden soll, dasselbe zukommen lassen. Kämpfen wir entschlossen dafür, dass Nihat schon bald wieder draußen an unserer Seite stehen wird.

Wir als Internationalist:innen stehen heute hier, um unseren Genossen zu zeigen, dass sie nicht allein sind: wir stehen an eurer Seite, vor und im Gerichtssaal!

Solidarität mit allen von Repression betroffenen kurdischen Aktivist*innen!
Unsere Solidarität gegen ihre Repression! Weg mit §§ 129a/b! PKK-Verbot aufheben!
Hoch die internationale Solidarität!