Verteidigung dringt auf Berücksichtigung des Friedensprozesses
Der vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg verhandelte Prozess gegen zwei Kurden wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurde am Freitag fortgesetzt. Am inzwischen zehnten Prozesstag wurden vormittags überwiegend die Dokumente zum Beweisantrag, den die Verteidigung am Vortag gestellt hatte, durch den Senatsvorsitzenden Richter Herrn Sakuth verlesen.
Der Friedensprozess muss berücksichtigt werden
In dem Beweisantrag hieß es, das Beweisziel sei es „darzustellen, dass dieser Friedensprozess von kurdischer Seite ernsthaft und rückhaltlos betrieben wird, dass aber auch das Verhalten der staatlich-türkischen Seite und der anderen Parteien ein ernsthaftes Einlassen auf den Prozess zeigt, sodass entgegen der eher abwartenden bis ablehnenden Sicht der Strafverfolgungsbehörden durchaus Grund zur Annahme besteht, dass am Ende dieses Prozesses ein dauerhafter Friede und damit auch ein dauerhaftes Ende des bewaffneten Kampfes von Seiten der PKK stehen wird.
Dabei ist besonders relevant, dass Herr Abdullah Öcalan selbst deutlich gemacht hat, dass der bewaffnete Kampf als Mittel der Auseinandersetzung sein Ende gefunden hat – auf diese Erklärung haben sich ja auch beide Angeklagten in ihren Einlassungen bezogen und dabei deutlich gemacht, dass sie diese Entscheidung von Herrn Öcalan als Anführer des kurdischen Volkes auch dann für sich als bindend empfinden und umsetzen würden, wenn in Zukunft wider Erwarten eine kurdische Organisation zum bewaffneten Kampf zurückkehren würde. Ebenso relevant ist, dass die KON-MED als Dachorganisation der kurdischen Vereine in Deutschland sich ebenfalls ausdrücklich positiv auf die Erklärungen zum Ende des bewaffneten Kampfes bezogen hat.“ Insbesondere für das Strafmaß haben diese Tatsachen entscheidende Bedeutung.
Die im Antrag aufgeführten Dokumente sind der Aufruf Abdullah Öcalans zur Auflösung der PKK vom Februar dieses Jahres, die Verkündung des sofortigen Waffenstillstandes durch die PKK im darauffolgenden März und zur Auflösung der Organisation im Mai, die Erklärung der KON-MED, die mit einem Aufruf an die Bundesrepublik Deutschland schließt, „alle diplomatischen Kanäle in Richtung Türkei“ zur Unterstützung des Prozesses zu nutzen, deren Erklärung „PKK-Beschlüsse: Transformation gestalten – Frieden sichern“ und nicht zuletzt der Bericht über die symbolische Waffenniederlegungszeremonie. All diese Statements und Erklärungen wurden überwiegend aus der deutschen Übersetzung auf ANF zitiert und können hier nachgelesen werden.
Nach der Verlesung der in Schriftform und deutscher Übersetzung vorliegenden Dokumente durch Richter Sakuth wurden drei Videos in den Prozess eingeführt und durch den anwesenden Dolmetscher übersetzt. Hierbei handelt es sich um die Rede des Vorsitzenden der MHP, Devlet Bahçeli, vom 22. Oktober 2024 und ein Interview mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan sowie eine Rede des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, in der diese ihre Unterstützung für den Friedensprozess erklären (beide Mai 2025).
Weitere Anträge der Verteidigung
Nach einer halbstündigen Unterbrechung des Prozesses wurde ein weiterer durch die Verteidigung eingebrachter Beweismittelantrag durch Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling verlesen, der sich auf die Phase des Friedensprozesses nach der symbolischen Waffenverbrennung am 11. Juli bezieht und chronologisch an die am Vormittag eingebrachten Beweismittel der Verteidigung anschließt. Beweisziel dieses Antrags ist dasselbe wie bei dem Antrag des Vortages.
Auch der Rechtsanwalt des Angeklagten aus Lübeck stellte einen Antrag. Er beantragte die Vorladung und Vernehmung eines weiteren Zeugen. Dessen Aussage soll bestätigen, dass es Vorgespräche zum Kauf eines Hauses gegeben hat und dass dies der Grund war, warum der Angeklagte eine große Menge Bargeld im Haus hatte. Die Staatsanwaltschaft wertet dieses Geld als PKK-Spendengeld und hat beantragt, es einzuziehen.
Fortsetzung Friedensprozess
Nach einer verlängerten Mittagspause wurden die Beweismittel des am Vormittag gestellten Beweismittelantrags der Verteidigung durch Richter Sakuth vorgelesen und als Beweismittel in den Prozess aufgenommen.
Zunächst ging es um positive Reaktionen von staatlicher Seite auf die Schritte der kurdischen Bewegung und seitens der politischen Parteien in der Türkei. Ein Statement des türkischen Präsidenten Erdoğan, in der er die Einsetzung einer Friedenskommission im türkischen Parlament ankündigte und einen Teil der in der Vergangenheit begangenen Verbrechen Ankaras war bereits zuvor ins Verfahren eingeführt worden. An diesem Prozesstag wurden folgendes ergänzt und durch Richter Sakuth verlesen:
▪ Eine Rede des MHP-Vorsitzenden Bahçeli vom 11. Juli.
▪ Die Stellungnahme von Özgür Özel (CHP), in der er die symbolische Waffenniederlegung als positiven Schritt und ermutigenden Anfang einer neuen Ära bezeichnete.
▪ Statements des türkischen Parlamentspräsidenten Numan Kurtulmuş (AKP) zur Arbeitsaufnahme der „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ am 5. August sowie am Ende der 12. Sitzung am 25. September.
Anschließend an die Stimmen aus türkischer Politik wurden auch die kurdischen Perspektiven auf den Friedensprozess beleuchtet, die den deutlichen Willen zeigen, den Friedensprozess voranzutreiben und trotz schleppender Reaktionen seitens der türkischen Politik die nächsten Schritte zu gehen:
▪ Die Pressekonferenz am 26. Oktober, in der Sabri Ok (KCK) und Vejîn Dersîm (YJA Star), den vollständigen Rückzug der bewaffneten Einheiten vom türkischen Gebiet erklärten.
▪ Die positive, am selben Tag veröffentlichte Reaktion der KON-MED.
▪ Ein Bericht über den Besuch und die Gesprächsinhalte des Besuches einer Delegation der parlamentarischen „Kommission für Nationale Solidarität, Geschwisterlichkeit und Demokratie“ bei Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali vom 24. November.
Der Oberstaatsanwalt erhob keine Einwände gegen die Beweismittel, behauptete jedoch abermals, die Anklage habe diese Tatsachen bereits berücksichtigt, und kritisierte erneut die Auswahl der Quellen zur Dokumentation dieser historischen Tatsachen.
Urteilsverkündung noch dieses Jahr erwartet
Die beantragte Zeugenvernehmung ist für die nächste Woche vorgesehen. Damit wird voraussichtlich die Beweisaufnahme abgeschlossen werden. Die Plädoyers sind dann für den 18.Dezember vorgesehen, einen Tag vor Heilabend wird es voraussichtlich zur Urteilsverkündung kommen.
Prozesstermine
Weitere Verhandlungstermine sind angesetzt am 2. und 3. Dezember um jeweils 9 Uhr, sowie am 18. Dezember, ebenfalls um 9 Uhr, aber dann nicht den ganzen Tag, 22. Dezember um 10 Uhr und am 23. Dezember um 9 Uhr. Nach aktueller Planung fallen die Termine am 3. und 22. Dezember jedoch aus. Die vorläufig angesetzten Termine im Januar und Februar werden vermutlich ebenfalls nicht mehr stattfinden.
Solidarische Prozessbegleitung
Die anlässlich des Verfahrens gegründete Gruppe Prozessbeobachtung Nord ruft weiterhin zur solidarischen Prozessbegleitung auf. Auch finanzielle Unterstützung wird weiterhin benötigt. „Solidarität ist unsere Waffe – Wir freuen uns über Spenden!“
Spendenkonto
Rote Hilfe e.V.
Verwendungszweck: Hevgertin – Solidarität
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