Plädoyers im Hamburger PKK-Prozess – Urteilsverkündung und Kundgebung am 23.12.2025
Der heutige Verhandlungstag im Prozess gegen zwei schleswig-holsteinische Kurden wegen PKK-Mitgliedschaft begann zunächst mit der Verlesung der letzten Punkte der Beweisaufnahme durch den Vorsitzenden Richter. Dabei ging es u.a. um die staatlicherseits getätigte „Notveräußerung“ des Autos von einem der beiden Angeklagten, welches im Rahmen der Razzien am 12.3.2025 in Kiel beschlagnahmt wurde. Die dafür einkassierten 3400 Euro sollen einbehalten werden und somit ohne ersichtlichen Grund in die Staatskasse fließen.
Nachdem die Beweisaufnahme geschlossen wurde, begann Oberstaatsanwalt Schakau mit dem Plädoyer der Generalstaatsanwaltschaft. In einer langen Rede, die in Teilen einer Hetzschrift gegen die PKK glich, schloss er sich der verbreiteten staatlichen Einordnung der PKK als „autoritär geführter Terrororganisation“ überzeugt an und unterstellte der kurdischen Bewegung, dass der aktuell laufende Friedensprozess nur „taktischer Natur“ sei. Schließlich seien die Forderungen der PKK nach gleichberechtigter Teilnahme an den Verhandlungen im Friedensprozess unrealistisch und es zeige sich hier „PKK-Propaganda“. In seinen Ausführungen hangelte er sich im Wesentlichen entlang der Anklageschrift, wiederholte die Vorwürfe akribisch und spekulierte munter drauf los. So deklarierte er jede noch so kleine Summe Bargeld, die im Lauf von neun (!) Hausdurchsuchungen aufgefunden wurde, pauschal als PKK-Spendengeld – ungeachtet dessen, dass es dafür größtenteils keinerlei Beweise gibt. Ebenso verlor er sich in ausschweifenden Bewertungen darüber, dass Menschen Bargeld nicht zuhause aufzubewahren haben. Jede Art der Aufbewahrung in der eigenen Wohnung bezeichnete er als Versteck. Das „Verstecken“ von Geld zu Hause berechtigt für den Staatsanwalt den Vorwurf der Terrorfinanzierung. Auch vergingen etliche zähe Minuten mit der oberstaatsanwaltlichen Belehrung darüber, wie sich Freund:innen gegenseitig Geld zu verleihen haben – Abweichungen hiervon erschienen ihm grundsätzlich verdächtig und unglaubwürdig.
Dass die Familie ein Haus, welches sie kaufen wollten, selbstständig säubern und renovieren könne, schloss er quasi aus und maßte sich obendrein an zu fragen, ob das Haus groß genug sei, ohne dabei die bisherigen prekären Wohnverhältnisse irgendwie zu berücksichtigen.
Nach einem eher stichwortartigen Ritt durchdie in der Anklageschrift formulierten Vorwürfe der Betätigungshandlungen der Angeklagten, wie das Organisieren vereinsbezogener Veranstaltungen, der Verkauf von Eintrittskarten oder Zeitschriften und das Sammeln von Spenden, nahm die Frage der Spendengeldsammlung den größten Raum ein. Hier unterstellt die Generalstaatsanwaltschaft auch nach 12 Verhandlungstagen weiterhin, dass es sich bei sämtlichem beschlagnahmtem Geld um Spendengeld zur Finanzierung der PKK handle.
Oberstaatsanwalt Schakau stellte sämtliche Zeug:innenaussagen von Freund:innen und Verwandten, die der Familie des Angeklagten Geld geliehen hatten, in Frage und bezichtigte sie der Unglaubwürdigkeit. Auch die Beweise über die Verwendung des Geldes für den Hauskauf zweifelte er an. Dabei beschuldigte er den Angeklagten nicht nur der Falschaussage, sondern wertete es als strafschärfend, dass dieser Zeug:innen zu Falschangaben gebracht oder diese aufgrund ihrer Bereitschaft zu Falschangaben benannt habe. In diesem Zusammenhang beschuldigte Schakau den Angeklagten der Rechtsfeindlichkeit und Uneinsichtigkeit.
Als Fazit forderte er Haftstrafen von 2 Jahren und 6 Monaten für Nihat Asut und 1 Jahr und 9 Monaten für den Lübecker Angeklagten. Für beide Angeklagten kommen aus seiner Perspektive Bewährungsstrafen nicht in Frage.
Nach einer kurzen Pause folgten die Plädoyers der Verteidigung
Zunächst ging Dr. Björn Elberling (Verteidigung Nihat Asut) in seinem Plädoyer auf die seinem Mandanten gemachten Vorwürfe, das zu Prozessbeginn zwischen Gericht, Generalstaatsanwaltschaft und Verteidigung geführte Verständigungsgespräch und die unterschiedliche Bewertung des politischen Engagements kurdischer Aktivist:innen in Deutschland ein. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Rede bezog sich auf die Entwicklungen im aktuellen Friedensprozess zwischen der PKK und dem türkischen Staat und der damit einhergehenden notwendigen Neubewertung auch seitens des deutschen Staates. Dazu benannte er diverse vergleichbare Urteile gegen Kurd:innen in Deutschland aus der jüngsten Vergangenheit, bei denen jeweils Bewährungsstrafen verhängt wurden. Insbesondere die Strafzumessung seitens deutscher Gerichte unter Berücksichtigung dessen, dass den Angeklagten nie individuelle Straftaten zur Last gelegt werden, sondern die bloße Mitgliedschaft in kurdischen Vereinen für eine Verurteilung ausreicht, müsse sich dringend verändern. Elberling weiter: „Es war wichtig, dass wir uns das (den Friedensprozess, Anm. d. Red.) sehr genau angeschaut haben, denn diese Beweiserhebung hat gezeigt, dass der Prozess von kurdischer Seite sehr ernst genommen wird und dass v.a. die Erklärungen von Abdullah Öcalan keine Erklärungen in Friedensverhandlungen sind, die bei Scheitern der Verhandlungen jederzeit die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen erlauben, sondern dass hier eine endgültige Abkehr vom bewaffneten Kampf als Mittel der Auseinandersetzung erklärt wird, hinter die die Organisation, hinter die die kurdische Bewegung nicht mehr zurück kann, auch wenn der Staat seinen Teil der Abmachung nicht einlöst.“
Anschließend trug Rechtsanwalt Alexander Hoffmann sein Plädoyer vor.
Zunächst stellte dieser heraus, dass eine Verurteilung von PKK-Unterstützern nach §129a/b grundsätzlich nicht haltbar sei. Er geht davon aus, dass dies international und auch in deutscher Rechtsprechung in der Zukunft noch Berücksichtigung finden werde. Danach ging er schwerpunktmäßig auf die von der Staatsanwaltschaft als „Spendengelder zur Terrorfinanzierung“ umgedeuteten Gelder ein, die bei seinem Mandanten bei der Razzia im Frühjahr beschlagnahmt worden waren. Er schilderte anschaulich, wie sehr sich die Vorstellungen eines deutschen Gerichts von den Gepflogenheiten und Umgangsformen einerseits und der Lebensrealität einer vor Krieg und Terror in der Türkei geflohenen Familie in der Diaspora andererseits unterscheiden. Abgesehen davon, dass die engmaschige Überwachung der Beschuldigten auch in der Hauptverhandlung keinerlei Beweise erbracht habe, dass es sich bei dem aufgefundenen Geld tatsächlich um Spendengelder gehandelt habe, wertete er die Behauptungen des Oberstaatsanwalts Schakau als „reine zielgeleitete Spekulationen“ und beleidigend gegenüber seinem Mandanten. Auch Geld in zweifelsfrei beschrifteten Spendendosen für Heyva Sor a Kurdistanê (Kurdischer Roter Halbmond) hatte dieser dreist der PKK zugeordnet. Das Fazit des Verteidigers lautete insofern: „Die Grundannahme stimmt schon nicht!“ Solidarische Prozessbeobachter:innen äußerten nach den Plädoyers, dass die Diskrepanz der grundverschiedenen Darstellungen und Bewertungen zwischen Anklägerseite und der Verteidigung kaum offensichtlicher hätte sein können.
Schlussbemerkung eines Angeklagten
Am Ende des Verhandlungstages ergriff Nihat Asut noch einmal selbst das Wort. Ihm war es ein Anliegen, dem deutschen Staat die Soziologie des kurdischen Volkes verständlich zu machen. Anhand seiner persönlichen Lebensgeschichte schilderte er kurz den Weg seiner Politisierung. Die erlebte Unterdrückung der Kurd:innen, der Krieg und die zahlreichen Massaker, Misshandlungen und Plünderungen gegen Kurd:innen, Jesid:innen und Armenier:innen führten ihn zur kurdischen Freiheitsbewegung. Als abschließenden Wunsch formulierte er die Hoffnung, dass der von Abdullah Öcalan eingeleitete Friedensprozess erfolgreich sein werde und der Krieg gegen Kurd:innen nun beendet werden könne. Gleichwohl forderte er den deutschen Staat auf, den Friedensprozess endlich aktiv zu unterstützen und politischen Einfluss darauf zu nehmen. Schließlich lebten in Deutschland rund zwei Millionen Kurd:innen und Deutschland müsse sich um eine Beendigung des Krieges bemühen.
Der Angeklagte aus Lübeck trug keine eigene Erklärung vor und schloss sich dem Plädoyer seines Anwaltes an.
Die Urteilsverkündung findet am 23. Dezember um 10:00 Uhr statt. Bereits um 8:30 Uhr startet eine Soli-Kundgebung vor dem OLG. Kommt zahlreich und zeigt unseren Genossen, dass sie nicht alleine sind! Und bedenkt die Wartezeit wegen der Sicherheitskontrollen!
Hamburg, 18.12.2025. Prozessbeobachtung Nord
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