Termine: 10.09. | 17.09 | 19.09. | 06.10. | 08.10. | 14.10. | 15.10. | 05.11. | 06.11. | 17.11. | 19.11. | 27.11. | 28.11. | 02.12. | 03.12. | 18.12. | 22.12. | 23.12. | 07.01. | 14.01. | 16.02. | 27.02. |
10.09. – Prozesstag 1
Am Mittwoch begann vorm OLG Hamburg der Prozess gegen Nihat Asut aus Kiel und einen weiteren Freund aus der Kurdischen Befreiungsbewegung aus Lübeck. Beide sind der „mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung“ angeklagt. Gemeint ist die in der BRD kriminalisierte PKK. Nihat sitzt deshalb seit den Razzien gegen Kurdische Strukturen in Schleswig-Holstein vor sechs Monaten in U-Haft.
Vor Beginn der Verhandlung beteiligten sich 50 solidarische Unterstützer:innen an einer morgendlichen Kundgebung vorm Gericht. Neben Musik gab es Reden des AK Freiheit für Nihat aus Kiel, des Rechtshilfefonds Azadi, von Defend Kurdistan Bremen sowie zur Situation der aus selbigen Gründen verfolgten kurdischen Aktivisten Mehmet Çakas und Kenan Ayaz zu hören. Desweiteren wurden Grußbotschaften der Kieler MdB Tamara (LINKE), der Roten Hilfe Kiel und der marxistischen linken übermittelt. Pünktlich zu Prozessbeginn endete die Kundgebung mit Verweis auf die nächsten Verhandlungstage in der kommenden Woche.
Um 9:00 begann der Prozes. Als Nihat den Gerichtssaal betrat wurde er von den Unterstützer:innen mit lautem Applaus begrüßt, obwohl die überzogenen Einlasskontrollen dafür georgt hatten, dass erst gegen 9:30 alle solidarischen Zuschauer:innen im Gerichtssaal waren. Nach der Feststellung der Personalien der beiden Angeklagten verlas der Generalstaatsanwalt emotionslos die Anklageschrift. Dabei musste er von Zuschauer:innen deutlich auf die richtige Aussprache der Namen der Angeklagten hingewiesen werden. Im Anschluss wurden die Formalien zur Übergabe und Kenntnisnahme der Dokumente zum Selbstleseverfahren abgehandelt und den Angeklagten entsprechende Ordner ausgehändigt.
Bereits gegen 10:15 endete der öffentliche Teil des Prozessauftakts. Zum Abschied wurde den Angeklagten erneut Applaus gespendet. Es flogen Luftküsschen und herzliche Grüße durch die Scheibe des Zuschauerraums – ein bewegender und kraftgebender Moment für alle, den auch die missmutigen Justizbeamten nicht nehmen konnten.
Die Hauptverhandlung wird am 17.9. ebenfalls ab 9:00 fortgesetzt. Auch hier und bei allen weiteren Terminen ist Solidarität im Gerichtssaal unbedingt gefragt
17.09. – Prozesstag 2
Am heutigen Mittwoch fand vor dem Oberlandesgericht in Hamburg der zweite Prozesstag gegen zwei kurdische Aktivisten wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft statt. Eine von den Rechtsanwälten vorgeschlagene Verständigung auf Bewährungsstrafen wurde von der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Zahlreiche solidarische Menschen unterstützten die Angeklagten im Gerichtssaal.
Keine Verständigung, Solidarität und triviale Abhörungen – Zweiter Prozesstag im Verfahren gegen Nihat
Eine Woche nach Prozessbeginn wurde heute der zweite Prozesstag gegen den Kieler Nihat Asut und einen weiteren Kurden aus Lübeck wegen des Vorwurfs der führenden Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nach §129a/b StGB verhandelt. Auch dieses Mal fanden sich über 30 solidarische Genoss:innen im Gerichtssaal ein, was die Angeklagten sichtlich gefreut und unterstützt hat.
Zu Beginn der Verhandlung berichtete der Vorsitzende Richter Sakuth von einem Verständigungsgespräch, welches die Anwälte der Angeklagten im Nachklang des ersten Prozesstages angestoßen hatten. Gegen mögliche geständige Einlassungen der beiden Angeklagten, vor allem in Bezug auf die Vorwürfe der Organisation von Demonstrationen und Veranstaltungen mit Bezug zur kurdischen Freiheitsbewegung, sollte im Gegenzug eine Bewährungsstrafe zugesagt werden. Während die Staatsanwaltschaft eine solche Bewährungsstrafe für den Lübecker Genossen akzeptieren würde, wurde diese für Nihat ausgeschlossen. Begründet wurde dies mit der lange andauernden und immer noch aktuellen politischen Betätigung Nihats als Gebietsleiter für die PKK. Dies unterscheide Nihats Fall auch von jüngeren Urteilen wie im Prozess gegen Selahattin K., der im April vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Zudem sei laut Oberstaatsanwalt Schakau auch nicht klar, ob der Angeklagte – trotz seiner Zustimmung zu dem von der PKK vorangetriebenen Friedensprozess – seine politischen Tätigkeiten für die Arbeiterpartei nicht auch bei Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes fortführen würde. Die Staatsanwaltschaft sieht das Strafmaß daher bei einer Haftstrafe von über 2 Jahren, die entsprechend nicht auf Bewährung ausgesetzt werden könne.
Der Senat stellte für den Lübecker Genossen ein mögliches Strafmaß von 1 Jahr und 3 Monaten bis 1 Jahr und 9 Monaten und eine damit verbundene Bewährung in Aussicht. Dafür müsse der Angeklagte eine geständige Einlassung mit einer in eigenen Worten verfassten Stellungnahme zu den Tatvorwürfen abgeben. Dies umfasse laut Richter Sakuth explizit nicht die Preisgabe von Identitäten möglicher weiterer Tatverdächtiger. Weiterhin sollen die beschlagnahmten Geldbeträge nicht weiter Gegenstand der Verständigung sein.
Diese Verständigung wird erst gültig, wenn die Staatsanwaltschaft und der Lübecker Genosse zustimmen. Eine Stellungnahme des Angeklagten und seines Verteidigers soll am kommenden Prozesstag erfolgen. Bei Nihat steht die Staatsanwaltschaft mit ihren Strafforderungen einer möglichen Verständigung hinsichtlich Bewährung aktuell aktiv im Weg.
Gericht erkennt an: Der türkische Staat ermordet, foltert und vertreibt politische Gegner:innen und Minderheiten
Nach einer eineinhalbstündigen Pause wurden gerichtsbekannte Tatsachen zum „türkisch-kurdischen Konflikt“ vom Vorsitzenden Richter verlesen. Diese basieren auf den bisherigen PKK-Verfahren des OLG-Senats und steckten den politischen Rahmen vom Osmanischen Reich bis zum Jahr 2016 ab. Es wurden die geschichtlich verwurzelte Unterdrückung kurdischer Sprache, Kultur und Politik durch die Türkei dargelegt und festgestellt, dass „kurdische Politiker und Parteien immer wieder der Verfolgung ausgesetzt waren“. Der Vorsitzende Richter dokumentierte die unzähligen Verbote und Repressionen gegen kurdische Parteien durch den türkischen Staat unter dem Vorwand des Verstoßes gegen die Unteilbarkeit von Volk und Nation. Es wurde die gezielte Zerstörung kurdischer Dörfer und die Vertreibung der Bevölkerung in den 1990er Jahren, die Ermordung und das „Verschwindenlassen“ zahlreicher kurdischer Menschen sowie die Folter von Politiker:innen und Aktivist:innen anerkannt. Zahlreiche Verstöße gegen Menschen- und Grundrechte wurden durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt und der türkische Staat in diesem Zuge mehrfach zu lächerlichen Geldzahlungen verurteilt. Zudem stellte das Gericht die massive Einschränkung der freien Meinungsäußerung in der Türkei fest, die nicht nur Kurd:innen sondern auch die Presse, andere politische Parteien oder Bewegungen betrifft. Trotz all dieser richtigen Feststellungen der unzähligen skrupellosen Verbrechen des türkischen Staates stehen in diesem Prozess aber nicht die eigentlichen Verantwortlichen vor Gericht, sondern zwei kurdische Genoss:innen aus Kiel und Lübeck, die genau diese Gräueltaten bekämpft haben sollen.
„Die anderer Leute Pferde reiten, gehen am Ende zu Fuß.“
Im dritten inhaltlichen Block der Verhandlung wurden einige der Protokolle der überwachten Gespräche im Auto von Nihat behandelt. Bereits zu Beginn des Verhandlungstages hatte die Verteidigung der Angeklagten auf damit verbundene Problematiken hingewiesen. Die auf kurdisch geführten Gespräche wurden von unbekannten Dolmetschenden als zusammengefasste Protokolle ins Deutsche übersetzt. Weder die Qualifikation noch die rechtliche Neutralität der Dolmetscher:innen ist bekannt. Die Protokolle würden Rechtschreib- und Grammatikfehler beinhalten und teilweise nur schwer verständlich und lückenhaft sein, wodurch die Qualität der Übersetzung zumindest in Frage zu stellen sei. Zudem spiegelten sich in den Übersetzungen inhaltliche Interpretationen wider. Nach Beschluss der Richter sollen die vorhandenen Protokolle in dieser Form vorgetragen, aber zusätzlich noch durch die zuständige Dolmetscherin in Gänze neu übersetzt werden.
Folglich wurden insgesamt 25 Gesprächsprotokolle verlesen. Diese umfassten einen Überwachungszeitraum vom 20.11.2024 bis zum 6.3.2025 und wurden im Auto des Angeklagten Nihat aufgezeichnet. Die jeweils knapp fünf Minuten langen Aufzeichnungen gaben mäßig Aufschluss hinsichtlich der Tatvorwürfe und hatten in der Form des Vortrags in Teilen eher Slapstick-Charakter. Neben Wortfetzen über Demonstrationen oder Treffen kamen verschiedene Zahlenspiele – von verkauften Zeitschriften bis zu Kaufpreisen von Autos – zur Sprache. Es wurde zudem über das Wetter, Benzinpreise oder das Einkaufen im Sophienhof geredet. Meist ergab das Gesprochene wenig Sinn („Ich werde Dings“) oder eröffnete nur Triviales aus dem Leben des Angeklagten, von der Bewertung seiner Fahrkünste bis hin zur Unverträglichkeit von Schweinefleisch in den kurdischen Bergen.
Um kurz nach 14 Uhr wurde der Prozesstag dann beendet. Der dritte Prozesstag folgt am Freitag, den 19.September um 9 Uhr. Schwerpunkt wird die Verlesung der Protokolle und Fotos von den Hausdurchsuchungen im März dieses Jahres sein. Solidarische Unterstützung und kritische Prozessbegleitung ist unbedingt wieder erwünscht und notwendig.
19.09. – Prozesstag 3 – ausgefallen
ausgefallen
08.10. – Prozesstag 4
Am Mittwoch den 08.10.2025 fand der vierte Verhandlungstag im PKK-Prozess gegen den Kieler Aktivisten Nihat Asut und einen weiteren kurdischen Aktivisten aus Lübeck statt. Schwerpunkt dieser Verhandlung war die Einlassungen beider Angeklagter.
Nachdem der letzte Prozesstag am 06.10.2025 aufgrund eines Krankheitsfalls ausgefallen war, waren heute wieder viele Zuschauer:innen im Zuhörerraum zugegen, um die Angeklagten an diesem Tag erneut zu begleiten und ihnen solidarisch zur Seite zu stehen.
Der Prozesstag begann mit der Aushändigung der Einlassungserklärungen, in türkisch und deutscher Sprache, an alle im Prozess Beteiligten.
„Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug Kurde sein.“
In den Einlassungserklärungen der beiden Angeklagten wurde deutlich, wie eng ihr Leben als Kurden mit der Geschichte des kurdischen Volkes verknüpft ist. Ihr Leben und das Leben aller Kurd:innen sei geprägt von Assimilation, Vertreibung, Folter und Mord durch den türkischen Staat. Doch auch in Deutschland gehe die Unterdrückung und Repression gegen Kurd:innen weiter, was an ihrer Anklage deutlich werde.
Gegen dieses Unrecht und für das Recht auf Frieden für Kurd:innen hätten sie sich mit demokratischen Mitteln eingesetzt: Demonstrationen organisiert und Flugblätter gedruckt. Was für die Staatsanwaltschaft Bestandteil einer Straftat zu sein scheint, ist für die Angeklagten eine lebensnotwendige Interessensvertretung mit demokratisch legitimierten Mitteln.
Im weiteren Verlauf nahmen die beiden Angeklagten Bezug auf den aktuellen Friedensprozess, der am 27.02.2025 durch den PKK Gründer Abdullah Öcalan ausgerufen wurde. Dabei sei dieser von Seite der Freiheitsbewegung Kurdistans schon seit jeher und besonders aktuell ernsthaft und tatenreich behandelt worden. Nun sei der türkische und deutsche Staat an der Reihe, auch ihre Ernsthaftigkeit darin zu bekunden und erste Schritte als einen Beweis ihrer Absicht umzusetzen. Darauf folgend berichteten beide Angeklagten sehr berührend von ihren privaten und familiären Situationen, die mit der politischen Situation eng verbunden sind.
Zudem ergänzte der Aktivist aus Lübeck, dass das Geld, welches bei ihm gefunden wurde private Rücklagen seien. Sie bekräftigten, dass die getroffenen Äußerungen ausdrücklich nur sie selbst beträfen, zu den Behauptungen der Generalstaatsanwaltschaft, was andere getan
haben sollen oder wer zu welchen Strukturen gehört haben soll usw., würden sie sich nicht äußern.
N. Asut muss trotz Einlassung vorläufig in Untersuchungshaft bleiben
Im Weiteren wurde ein Antrag auf die Aufhebung des Haftbefehls gegen Nihat Asut verlesen, der bereits seit 7 Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Insbesondere nach Abgabe der Einlassung und durch die Schilderung der familiären Situation erschien der Verteidigung eine Fluchtgefahr und eine weitere Inhaftnahme des Angeklagten obsolet.
Der Staatsanwalt machte daraufhin deutlich, dass er in dem Friedensprozess und dem Einsatz der Angeklagten für Frieden in Kurdistan lediglich einen symbolischen Akt sehe und war der Auffassung, die Angeklagten würden ihre Rolle in der Organisation kleinreden. Er beantragte, den Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls zurückzuweisen, es sei weiter der Haftgrund der Fluchtgefahr und ansonsten der der „Schwerkriminalität“ gegeben. Dieser Tatbestand findet häufig Anwendung in Gerichtsprozessen mit dem Vorwurf einer Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, kurz §129b. Über den Antrag auf Haftentlassung will das Gericht sich in den kommenden Tagen beraten. Somit wird der Angeklagte N. Asut zunächst weiterhin in Untersuchungshaft bleiben.
Nach nur einer Stunde wurde der Verhandlungstag durch den Richter beendet. Die Prozessbeobachtungsgruppe ruft zur weiteren solidarischen Unterstützung der Prozesstage auf. Der nächste Prozesstag findet am 14.10. 2025 um 9 Uhr im Oberlandesgericht in Hamburg (Sievekingsplatz 3) statt.
15.10. – Prozesstag 5
Am Mittwoch, den 15.10.2025, fand der fünfte Verhandlungstag im PKK-Prozess gegen den Kieler Aktivisten Nihat Asut und einen Genossen aus Lübeck statt. Den Vormittag über verlas der Vorsitzende Richter Sakuth zwei Schriftstücke zur Lebensgeschichte der beiden Angeklagten, sowie die Neu-Übersetzung der PKW-Überwachungen. Nach der Mittagspause fand eine mündliche Haftprüfung bezüglich Nihat statt, die Entscheidung des Gerichts wird in den kommenden Tagen schriftlich bekannt gegeben. Auch an diesem Prozesstag war der Zuschauer:innenraum im Oberlandesgericht Hamburg wieder restlos mit solidarischen Menschen gefüllt.
Flucht, Folter und Kampf für Gerechtigkeit
Beim zweiten Schriftstück handelte es sich um einen Zeitungsartikel aus der Özgür Politika aus dem Jahr 2019, in dem der Lübecker Genosse porträtiert wird. Aufgewachsen in einer kleinen Stadt in Nordkurdistan musste er schon früh die Ermordung enger Familienmitglieder durch den türkischen Staat verkraften. Auch der Genosse selbst wurde politisch verfolgt und nach erlittener Folter für 10 Jahre ins Gefängnis gesperrt. Mitte der 2000er Jahre flüchtete er nach Europa und wurde dort für ein halbes Jahr in der Slowakei inhaftiert und kam anschließend nach Deutschland. Hier betätigte er sich weiter aktiv, bemühte sich um die Organisierung der hiesigen kurdischen Jugend und beteiligte sich an den Protesten und Hungerstreiks für die Freilassung von Abdullah Öcalan. Eindringlich blieb aus dem Artikel das Zitat zurück: „Ich glaube es gibt keine kurdische Familie, die in diesem Kampf keinen hohen Preis gezahlt hat“. Da die aufgewühlten Erinnerungen den Angeklagten und das Publikum sichtlich bewegten – denn für viele der Anwesenden waren die Lebensgeschichten mit ihren erschütternden Details zuvor nicht in Gänze bekannt, wurde die Verhandlung kurz unterbrochen.
„Lammfleisch ist immer noch lecker“ – Neue Übersetzung der PKW-Überwachung
Scheinbar unbeeindruckt vom zuvor Gehörten, verlas der Vorsitzende Richter anschließend die neu übersetzten Protokolle der PKW-Überwachungen. Bei den bereits am zweiten Verhandlungstag behandelten Protokollen hatte die Verteidigung der Angeklagten richtigerweise kritisiert, dass die Kompetenz der Dolmetschenden nicht bekannt seien, die Übersetzungen teilweise lückenhaft und in den Zusammenfassungen der Gespräche bereits inhaltliche Interpretationen enthalten seien. So wurden knapp 20 Abhörprotokolle, neu und nachweislich gedolmetscht, verlesen. Einige Stellen wichen dabei durchaus von den Schriftstücken des zweiten Verhandlungstages ab, inhaltlich hat sich mit Blick auf den Prozess allerdings nicht viel geändert. Abfolgen à la „Person A: Wie? Person B: Was? Person A: Unverständlich. Person B: Unverständlich. Person A: Ja.“ oder mäßig interessante Aussagen rund um das Wetter oder den Geschmack von Lammfleisch in den kurdischen Hochebenen dominierten die nächsten eineinhalb Stunden vor der Mittagspause. Kurz vor 12 Uhr wurde der Verhandlungstag für die Öffentlichkeit dann für beendet erklärt.
Noch keine Entscheidung bei der Haftprüfung
Wichtigster Punkt der heutigen Verhandlung war aber die Haftprüfung von Nihat, über die nach der Mittagspause hinter verschlossener Tür verhandelt wurde. Nihat sitzt mittlerweile seit über sieben Monaten in Untersuchungshaft, obwohl mehrfach verdeutlicht wurde, dass im Prinzip keinerlei Fluchtgründe bestehen. Trotz Alter, Familie und Einlassung bei der letzten Verhandlung ließ es sich Oberstaatsanwalt Scharkau nicht nehmen, die Aufrechterhaltung der Haft von Nihat zu fordern. Das Gericht verschob eine endgültige Entscheidung über die Freilassung, welche aber in den kommenden Tag schriftlich mitgeteilt werden soll. Währenddessen warteten Familienangehörige und Freund:innen vor dem Gerichtsgebäude vergeblich auf die Bekanntgabe einer „positiven“ Entscheidung des Gerichts und mussten schließlich ohne die „beste Nachricht der Woche – nämlich die Freilassung Nihats aus der U-Haft“ abreisen, wie eine Prozessbeobachter:in schilderte. Nihats Lieblingsessen war bereits vorbereitet…
Damit die „beste Nachricht“ bald wahr wird: Es gilt weiterhin die Angeklagten zu unterstützen, politischen Druck aufrecht zu erhalten und auch während der Prozesstage Solidarität vor Ort zu zeigen. Der kommende Verhandlungstag findet am 5. November um 9 Uhr im Oberlandesgericht in Hamburg (Sievekingsplatz 3) statt.
05.11. – Prozesstag 6
Am Oberlandesgericht Hamburg fand bereits am Mittwoch der sechste Prozesstag im Verfahren gegen Nihat Asut und einen weiteren kurdischen Aktivisten statt. Ein gutes Dutzend solidarische Prozessbeobachter:innen waren anwesend. Mit leichter Verzögerung begann der Verhandlungstag mit der Vernehmung eines Zeugen des Bundeskriminalamts (BKA): Herr Scholand aus Meckenheim.
Thema: Friedensprozess, kurdische Strukturen, Spendengelder
Zu Beginn der Befragung standen Fragen zum aktuellen türkisch-kurdischen Friedensprozess und zur politischen Einschätzung der Lage im Vordergrund. Zeuge Scholand betonte mehrfach, dass seine Kenntnisse über den Friedensprozess ausschließlich aus öffentlich zugänglichen Quellen stammten – insbesondere aus der Presse. Internes oder geheimes Wissen habe er nicht. Er skizzierte Entwicklungen der letzten Jahre, ohne dabei ein abschließendes Urteil zu treffen.
Laut Scholand sei die Gewalt auf beiden Seiten seit Beginn der Friedensbemühungen zurückgegangen. Aktionen der Guerilla im Jahr 2025 könnten seiner Einschätzung nach auch als Reaktionen auf Angriffe der türkischen Armee interpretiert werden.
Im Anschluss ging es um die Struktur kurdischer Organisationen in Europa – mit Schwerpunkt auf Deutschland. Scholand gab an, dass seine Kenntnisse auf früheren Verfahren sowie auf längerfristiger Beobachtung basierten. Er schilderte die Entwicklung dieser Strukturen seit 2010. Auf Nachfrage der Verteidigung führte er Unterschiede zwischen sogenannten „PKK-Kadern“, lokalen Aktivist:innen und „KCK-Kadern“ aus.
Vorwurf der Generalstaatsanwaltschaft
Die Bundesanwaltschaft wirft Nihat Asut vor, als sogenannter „Gebietsleiter“ in Kiel fungiert zu haben und in direktem Austausch mit Führungspersonen der PKK gestanden zu haben. Ein konkreter Bezug des Zeugen zu den Angeklagten erfolgte im Verlauf der Befragung jedoch nicht – stattdessen blieb die Darstellung allgemein.
Thema Spendengelder
Gegen Ende des Prozesstages ging es um Spendensammlungen. Hier räumte Scholand ein, dass die Erkenntnisse zu Geldflüssen nur begrenzt seien. Die Generalstaatsanwaltschaft ordnet beim Lübecker Angeklagten gefundene Geldsummen als Spendengelder ein und strebt deren Einziehung an. Die Verteidigung kündigte drei neue Anträge an – mit Bezug auf den Friedensprozess, auf staatliche Verbrechen in der Türkei sowie auf die genannten Geldmittel.
Weitere Planung
Das Gericht sieht das Beweisprogramm weitgehend als abgeschlossen. Offen sind lediglich die Sichtung einiger Bilder und Dokumente. Ein für den gestrigen Donnerstag vorgesehener Prozesstag wurde abgesagt. Die Verhandlung wird am 17. November fortgesetzt.
17.11 & 19.11. – Prozesstag 7 & 8
Vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg (OLG) ist am Mittwoch der Prozess gegen zwei Kurden wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fortgesetzt worden. Wie bereits beim vorangegangenen Verhandlungstag am Montag wurden diverse Zeug:innen zu dem bei der Durchsuchung der Wohnung von einem der Angeklagten im vergangenen März beschlagnahmten Geld angehört. Dem 64-jährigen Kurden wird vorgeworfen, im Jahr 2024 Spendengelder in Höhe von 3.000 Euro entgegengenommen und bis März 2025 weitere 87.550 Euro in seiner Wohnung nahe Lübeck aufbewahrt zu haben.
Laut den Zeugenaussagen diente die in der Wohnung beschlagnahmte Summe dem Kauf einer Wohnung für die in prekären Verhältnissen lebende Familie. Die Zeug:innen sagten aus, dass sie dem Angeklagten dafür Geld geliehen hätten. Dazu sollen in den kommenden Verhandlungstagen noch weitere Zeug:innen angehört und Beweismittel eingebracht werden.
Beweisermittlungsantrag zu Staatsverbrechen der Türkei
Die Verteidigung stellte am Mittwoch außerdem einen längeren Beweisermittlungsantrag zu Staatsverbrechen der Türkei. Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling führte aus, dass der Senat bereits im September auf gerichtsbekannte Tatsachen für den Zeitraum bis 2015 hingewiesen hat. So habe der türkische Staat in der Vergangenheit massive, bis hin zu tausendfachem Mord und hunderttausendfacher Vertreibung reichende Verbrechen gegen die kurdische Bevölkerung begangen und zugleich durch Sprach- und sogar Buchstabenverbote die Bewahrung kurdischer Kultur sowie durch willkürliche Parteiverbote auch die freie politische Betätigung kurdischer Menschen in der Türkei massiv erschwert bis verunmöglicht. Mit dem neuen Beweisermittlungsantrag soll demnach festgestellt werden, dass die Unterdrückungspolitik des türkischen Staates bis zu dem in Hamburg angeklagten Tatzeitraum ununterbrochen weiterging.
„Ihrer Dimension nach und für die Strafzumessung relevant“
Die Verteidigung vertrat die Auffassung, dass weitere Tatsachen ihrer Dimension nach und für die Strafzumessung relevant seien. Benannt wurden unter anderem Morde an PKK-Mitgliedern in Europa, so etwa das tödliche Attentat eines Auftragsmörders des türkischen Geheimdienstes MIT auf Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez im Januar 2013 in einem kurdischen Informationszentrum in Paris.
Weitere Themenkomplexe des Antrags sind die Militäreinsätze von 2015/2016 in kurdischen Städten in der Türkei, die Unterstützung der Terrormiliz „Islamischer Staat“ durch die Türkei und die Zurückschlagung der Islamisten unter anderem durch Einheiten der PKK, Angriffe der Türkei auf kurdische Siedlungsgebiete außerhalb des türkischen Staatsgebietes sowie die Unterdrückung pro-kurdischer Betätigung in Parlament und Kommunalpolitik. In dem Antrag wurden unter anderem der Völkermord von 2014 an der ezidischen Gemeinschaft und die laut mehreren Urteilen des EGMR rechtswidrige Inhaftierung des kurdischen Politikers Selahattin Demirtaş benannt.
Der gewaltsame Tod von Konstantin Gedig
Als weiteres relevantes Beispiel ist der Tod des Kielers Konstantin Gedig im Jahr 2019 bei einem türkischen Luftangriff in Nordsyrien aufgeführt. Rechtsanwalt Elberling wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass seinem Mandanten Nihat Asut die Vorbereitung der Trauerfeier zum fünften Jahrestag der Tötung von Gedig und die Teilnahme an dieser Trauerfeier im Oktober 2024 im vorliegenden Verfahren als Betätigungshandlung nach § 129b StGB vorgeworfen wird.
Weitere Verhandlungen bis Februar angesetzt
Generalstaatsanwalt Schakau erklärte in einer Stellungnahme zu dem Antrag, er habe grundsätzlich nichts dagegen, diese Sachverhalte einzuführen, es seien ja geschichtliche Tatsachen. Darüber hinaus wurden weitere Verhandlungstermine bis Februar ausgemacht, sollten die bisherigen nicht ausreichen.
Bei den nächste Terminen am Donnerstag und Freitag kommender Woche wird es weiter um das in Lübeck beschlagnahmte Geld sowie um Beweisanträge der Verteidigung gehen. Ob dafür beide Tage gebraucht werden, wird sich am Donnerstagnachmittag herausstellen.
27.11. – Prozesstag 9
Mietzahlungen hier – Friedensprozess dort…
Am gestrigen Donnerstag, 27.11.2025, wurde vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg (OLG) der Prozess gegen zwei Kurden aus Schleswig-Holstein wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fortgesetzt.
„Dem Verwendungszweck und dem Empfänger nach zu urteilen handelt es sich vermutlich um Mietzahlungen“
Wie bereits bei den beiden Verhandlungstagen in der letzten Woche, drehte sich die erste Hälfte des Prozesstages um monetäre Fragen. Zunächst ging es um Zweck und Herkunft des bei einem der Angeklagten im vergangenen März beschlagnahmten Geldes.
Dem 64-jährigen Kurden wird vorgeworfen, dass es sich bei den über 80.000 €, die in seiner Wohnung beschlagnahmt wurden, um Spendengelder für die kurdische Arbeiterpartei PKK handeln würde. Er hatte dieses Geld allerdings für den Kauf eines Hauses angespart. Zur Aufklärung dieser Frage hatte das Gericht den Immobilienmakler geladen, für dessen Wohnobjekt der Angeklagte ein Kaufangebot abgegeben hatte. Kaum Erinnerung, keine Unterlagen, keine gespeicherten Daten über Kommunikation und Vertragsverhandlungen – viel Aufklärung brachte die Aussage nicht.
Anschließend wurden Kontoauswertungen von Konten dreier weiterer Personen verlesen. Bei diesen Personen war im Rahmen der im März durchgeführten Hausdurchsuchungen ebenfalls Geld beschlagnahmt worden. Die überaus detaillierten Auswertungen brachten so bahnbrechende Erkenntnisse zum Vorschein wie die Vermutung, dass alle drei Personen vermutlich jeden Monat Miete und Strom bezahlen und auch immer wieder Geld von ihrem eigenen Konto abheben.
Relevanz des aktuellen Friedensprozesses
Nach diesem eher zähen Beginn gewann der Verhandlungstag an inhaltlicher Tiefe: Durch Rechtsanwalt Dr. Björn Elberling wurde ein neuer Beweisantrag zur Berücksichtigung des aktuellen Friedensprozesses in der Türkei gestellt. Ziel des Antrags ist es, darzustellen, dass der Friedensprozess von kurdischer Seite ernsthaft und rückhaltlos betrieben wird. Auch das Einlenken der türkisch-staatlichen Seite auf diesen Friedensprozess lege nahe, dass an dessen Ende ein dauerhafter Friede und ein Ende des bewaffneten Kampfes der PKK stehen wird.
Insbesondere sei hervorzuheben, dass Abdullah Öcalan selbst verdeutlicht habe, dass der bewaffnete Kampf als Mittel der Auseinandersetzung ein Ende hat. Beide Angeklagten hatten in ihren Einlassungen Bezug hierauf genommen und ausgesagt, dass sie sich auch dann noch danach richten würden, falls andere kurdische Organisationen zum bewaffneten Kampf zurückkehren würden.
Die Dachorganisation der kurdischen Vereine in Deutschland, FED-DEM hat sich ebenfalls ausdrücklich positiv auf die Erklärung zum Ende des bewaffneten Kampfes bezogen. Diese Tatsachen sollen im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Der Antrag umfasst die Aufnahme von 10 Beweismitteln, die den aktuellen Friedensprozess bis zur Entwaffnungszeremonie am 11.7.2025 dokumentieren.
So sollen einerseits der Aufruf Abdullah Öcalans zur Auflösung der PKK aus Februar 2025, die Verkündung des sofortigen Waffenstillstandes durch die PKK im März 2025 und zur Auflösung der Organisation im Mai 2025, die Erklärung der KON-MED, Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans e.V., die mit einem Aufruf an die Bundesrepublik Deutschland schließt, „alle diplomatischen Kanäle in Richtung Türkei“ zur Unterstützung des Prozesses zu nutzen (März 2025), und deren Erklärung „PKK-Beschlüsse: Transformation gestalten-Frieden sichern“ aus Mai 2025 und nicht zuletzt die symbolische Entwaffnungszeremonie Berücksichtigung finden.
Ebenso sollen die Rede des Vorsitzenden der MHP, Devlet Bahçeli vom 22.10.24, ein Interview mit dem türkischen Außenminister Hakan Fidan und eine Rede des türkischen Präsidenten Erdoğan, in der er seine Unterstützung für den Friedensprozess erklärte (beide Mai 2025), als Beweismittel eingeführt werden um die Relevanz des Friedensprozesses zu dokumentieren.
Oberstaatsanwalt Schakau erklärte in einer Stellungnahme zu dem Antrag, er habe grundsätzlich nichts dagegen, diese Sachverhalte einzuführen, merkte aber sichtlich verärgert an, dass er nicht bereit wäre, die Gerichtsverhandlung als PKK-Propaganda-Veranstaltung missbrauchen zu lassen. Er führte außerdem an, die Staatsanwaltschaft habe ca. 80% dieser Tatsachen bereits in der Vorbereitung der Anklage berücksichtigt.
Nachdem einige eher technische Details zur Aufnahme der Beweismittel in kurdischer bzw. türkischer Sprache besprochen wurden, ging es weiter mit der Anordnung zur Aufnahme der durch die Verteidigung am vorangegangenen Prozesstag eingebrachten Beweismittel.
Sodann wurden als Beweismittel Auszüge aus Urteilen anderer Oberlandesgerichte verlesen, die sich insbesondere mit der Unterdrückungspolitik des türkischen Staates gegen die kurdische Bevölkerung befassten. Hierbei wurde Augenmerk auf die Ermordung der PKK-Mitglieder Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez durch den türkischen Geheimdienst im Jahr 2013 in Paris, sowie die Militäroffensive des türkischen Staates gegen die Autonomieregion Rojava gelegt.
Hervorgehoben wurde auch die Ausweitung des Verteidigungskrieges auf kurdische Städte wie etwa Cizre in der Türkei sowie das brutale Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die kurdische Zivilbevölkerung und die damit verbundene massenhafte Flucht hunderttausender Menschen aus diesen Städten in den Jahren 2015 und 2016.
Bezug genommen wurde auch auf die Geschehnisse im Jahr 2014 in Kobanê und im Sinjar-Gebirge.
Während unter anderem die kämpfenden kurdischen Einheiten die ezidische Zivilbevölkerung vor drohenden Massakern durch die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) verteidigten, unterstützte der türkische Staat den IS sowohl militärisch als auch logistisch.
Weitere Verhandlungen bis Februar angesetzt
Beim nächsten Termin am Freitag (28.11.25) wird es weiter um die Beweisanträge der Verteidigung gehen. Ob dafür weitere Tage gebraucht werden, wird sich am Freitag herausstellen.